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🏰 Schloss Herrenchiemsee – Geschichte & Ludwig II.

📜 Ursprung & Baugeschichte

  • Standort: Insel Herrenchiemsee (größte Insel im Chiemsee, Bayern)

  • Erworben: 1873 durch König Ludwig II. – er ließ das ehemalige Kloster Herrenchiemsee aufkaufen.

  • Bauzeit: 1878–1885 (unvollendet)

  • Vorbild: Schloss Versailles bei Paris – Ludwig war ein glühender Verehrer des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV.

  • Ziel: Eine „neue Burg Herrenwörth“ als monumentales Denkmal absolutistischer Königsherrlichkeit.

👑 Ludwig II. & das Schloss

  • Besuchte Schloss Herrenchiemsee nur 9 Nächte (September 1885), es blieb unvollendet.

  • Er sah es mehr als „Tempel des Königtums“ denn als Residenz.

  • Viele Räume wurden gar nicht fertiggestellt, z. B. der rückwärtige Flügel.

💰 Kosten & Finanzierung

  • Gesamtkosten: über 16 Millionen Mark (inflationsbereinigt heute: ca. 250 Mio. €)

  • Wurde komplett aus Ludwigs Privatvermögen bezahlt – nicht aus dem Staatshaushalt!

  • Finanzielle Probleme führten zur Entmündigung Ludwigs wenige Monate nach seinem Besuch auf Herrenchiemsee.

🎭 Seltene Anekdote / Besonderes

🕯️ Spiegelgalerie größer als in Versailles

  • Die berühmte Spiegelgalerie in Herrenchiemsee ist noch länger als die in Versailles: 98 m statt 73 m – ein bewusstes Übertreffen des Vorbilds.

🐦 Mechanische Tischaufzüge

  • Im Esszimmer war ein mechanischer Tischheber eingebaut – wie schon in Linderhof –, damit die Diener beim Essen nicht stören mussten. Das System funktionierte mit Winden unter dem Fußboden.

📸 Frühe Technikbegeisterung

  • Ludwig II. ließ moderne Heizungs- und Sanitäranlagen einbauen, sogar mit Fließwasser und einer Badewanne mit Warmwasser – für die damalige Zeit spektakulär.

🧠 Baupläne durch Träume inspiriert

  • Ludwig notierte Visionen und Traumbilder nachts auf Zetteln – Architekten mussten diese teils vagen Fantasie-Ideen in Baupläne übertragen.

⚔️ Nutzung im Krieg & nach 1945

📍 Erster Weltkrieg

  • Schloss war geschlossen, keine bedeutende Nutzung – Pflege wurde reduziert, aber Gebäude blieb intakt.

📍 Zweiter Weltkrieg

  • Das Schloss wurde nicht zerstört.

  • Während des Krieges diente es u. a. als Lagerstätte für Kunstwerke (wie viele bayerische Schlösser).

📍 Nachkriegszeit ab 1945

  • Juli–August 1948: Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee

    • In den Räumen des Alten Schlosses (ehemaliges Augustiner-Chorherrenstift) tagten 11 Politiker, um den Entwurf für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu erarbeiten. → Dieses Ereignis wird als „Herrenchiemseer Verfassungskonvent“ bezeichnet.

  • Danach zunehmend Touristenattraktion – heute Teil der Bayerischen Schlösserverwaltung.

🕵️‍♂️ Wenig Bekanntes

  • Nie fertiggestellt: Mehr als die Hälfte des geplanten Schlosses wurde nie gebaut. Die Fundamente für einen zweiten Flügel existieren bis heute.

  • Rosen-Illusion: In einem der Räume war anfangs geplant, Duft durch verborgene Düsen zu verbreiten – ein „synthetisches Versailles-Gefühl“. Wurde aber nie umgesetzt.

  • „Ludwigs Disneyland“: Einige Historiker sehen in Herrenchiemsee eine frühe Form von künstlerischer Realitätsflucht – mit „Scheinarchitektur“, ähnlich heutigen Themenparks.

🏛️ Architektur, Räume & politische Symbolik von Schloss Herrenchiemsee

  1. 🪞 Spiegelsaal (Spiegelgalerie / Grande Galerie des Glaces)

Funktion & Gestaltung:

  • Länge: 98 Meter, 17 Fenster und 33 gegenüberliegende Spiegel.

  • 44 Kronleuchter, über 2.000 Kerzenplätze.

  • Inspiriert direkt von Versailles – aber größer und noch prachtvoller.

Symbolik:

  • Sinnbild absolutistischer Herrschergröße – Ludwig II. inszeniert sich als moderner „Sonnenkönig“.

  • Licht = Macht – Reflektion des Sonnenlichts auf Gold, Kristall und Spiegeln als Darstellung von Kontrolle über das Sichtbare.

  • Ludwig nahm nie Gäste in diesen Saal mit, der Saal diente nicht der Repräsentation, sondern einem ästhetischen Alleingang.

  1. 🛏️ Königliches Schlafzimmer

Funktion & Gestaltung:

  • Der aufwendigste Raum des Schlosses, mit Baldachinbett, Blautönen und Gold.

  • Nach dem Vorbild Ludwig XIV. – der täglich eine Zeremonie der „Lever du Roi“ hatte.

  • Umfasst auch eine prachtvolle Uhr mit Porträt von Ludwig XIV..

Symbolik:

  • Ludwig II. wollte eine Verkörperung des Gottesgnadentums – das Bett als „Thron des Schlafes“.

  • Widerspruch: Ludwig lebte zurückgezogen, ließ diesen Raum aber als Ort der öffentlich-inszenierten Herrschaft gestalten.

  • Der Raum wurde nie benutzt.

  1. 🪑 Esszimmer (Tisch mit Aufzug)

Funktion & Gestaltung:

  • Wie in Linderhof: Tisch, der mit Winde unter dem Boden verschwand („Tischlein-deck-dich“).

  • Wände mit Porträts bedeutender Monarchen, u. a. Friedrich der Große, Maria Theresia, Ludwig XIV.

Symbolik:

  • Isolation: Ludwig aß allein, ließ sich die Speisen „unsichtbar“ servieren – Zeichen seines Rückzugs.

  • Die Monarchenbilder: Ludwig stellte sich in die Reihe europäischer Großmonarchen.

  1. 🚿 Badezimmer & Technikräume

Funktion & Gestaltung:

  • Moderne Ausstattung mit Warmwasser, Dusche, Badewanne, Wasserklosett – in einem Raum, der einem römischen Thermenkomplex nachempfunden ist.

  • Mit vergoldeten Armaturen und Marmorwänden.

Symbolik:

  • Kombination aus Technik und Luxus – Ludwig verband das Fortschrittsideal mit Ästhetik.

  • Der König als Zivilisationsbringer, der dennoch unerreichbar bleibt.

  1. 📚 Treppenhaus (Escalier d’honneur)

Funktion & Gestaltung:

  • Prachtvoll, symmetrisch, mit doppeltem Aufgang.

  • Reich dekorierte Kassettendecke, Büsten, allegorische Darstellungen.

Symbolik:

  • Weg zur Macht und zum Erhabenen – architektonisch „Pilgerweg“ zur königlichen Welt.

  • Eine Art Eintritt in eine ideale Monarchie – der reale König bleibt abwesend.

  1. 🧑‍🎨 Unvollendete Flügel und leere Räume

Funktion & Gestaltung:

  • Große Teile des Schlosses (besonders der rückwärtige Flügel) blieben ungebaut oder leer.

  • Heute sichtbar als leere Gänge mit Fensterhöhlen ohne Wandverkleidung.

Symbolik:

  • Zeugen des Scheiterns der Idee, ein neues Versailles zu errichten.

  • Ein Sinnbild für Ludwigs Isolation und Unerreichbarkeit – die Vollendung blieb Wunsch.

🎭 Versailles als politisches Symbol

Warum Versailles?

  • Ludwig XIV. steht für die absolutistische Königsmacht, zentriert auf den Monarchen.

  • Ludwig II. fühlte sich dem „göttlichen Königtum“ verbunden – nicht der konstitutionellen Monarchie, wie sie in Bayern galt.

  • Nach der Reichsgründung 1871 (mit Wilhelm I. als Kaiser) fühlte sich Ludwig II. machtlos und zurückgedrängt – Herrenchiemsee war sein mentales Gegenreich.

Politische Botschaft:

  • Kein Ort für Staatsgeschäfte oder Repräsentation.

  • Herrenchiemsee war ein ästhetisches Manifest gegen die Moderne, gegen das Bürgertum und die Parlamentarisierung.

  • Es war ein denkmalhaftes Selbstgespräch eines Königs, der seine Realität nicht mehr akzeptierte.

🧩 Zusätzliche Kuriositäten & Seltenes

  • Ludwig II. war bei der ersten Grundsteinlegung nicht anwesend – er mied Öffentlichkeit.

  • Der Spiegelsaal wurde mit Hilfe von Rollspiegeln aus Thüringen ausgestattet – logistisch enorm aufwändig.

  • Einige Besucher dachten in den 1880er-Jahren, das Schloss sei eine Filmkulisse oder ein Theater – da es fast immer leer stand.

  • Nach Ludwigs Tod (1886) wurde nur ein kleiner Teil als Museum öffentlich zugänglich gemacht.